Podium zur Bildungspolitik: Zwischen Chancengleichheit, Digitalisierung und Systemfragen

Am 9. September 2025 lud die FDP.Die Liberalen gemeinsam mit der Wirtschaftsschule Thun (WST) zu einem hochkarätig besetzten Bildungspodium in die Aula des Berufsbildungszentrums IDM. Unter der Moderation von Stadtrat Mark van Wijk diskutierten Nationalrätin Aline Trede (Grüne), die Grossräte Daniel Arn (FDP) und Alfons Bichsel (Die Mitte) sowie Stefan Zbinden, Konrektor und Leiter Weiterbildung an der WST, über die Herausforderungen und Chancen des Berner Bildungssystems.

Duales Bildungssystem als Erfolgsmodell

Daniel Arn eröffnete mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für das duale Bildungssystem: «Das ist unser Aushängeschild – wir dürfen es nicht durch eine einseitige Akademisierung gefährden.» Er verwies auf die EuroSkills in Dänemark, wo 16 junge Schweizer Berufsleute in über 100 Berufen um Medaillen kämpfen: «Das ist gelebte Exzellenz – auf einer Fläche von 15 Fussballfeldern.»

Arn erinnerte an die Ursprünge des Systems im 19. Jahrhundert und betonte die Gleichwertigkeit von Betrieb und Schule: «Die Berufsbildung vermittelt nicht nur Fähigkeiten, sondern auch soziale Verantwortung.»

Integrative Schule unter Druck

Alfons Bichsel lenkte den Fokus auf die integrative Schule und die damit verbundenen Herausforderungen: «Wir wollen für unsere Jungen das Beste – das ist unser gemeinsamer Nenner. Aber die Realität ist komplex.» Er verwies auf die hohe Belastung der Lehrpersonen, den Fachkräftemangel und die steigende Zahl fremdsprachiger Schülerinnen und Schüler: «In Thun liegt der Anteil bei 25 %, in Biel gar bei 81 %. Das ist mehr als nur ein Sprachbad.»

Bichsel forderte eine ehrliche Debatte über die Grenzen der Integration: «Wir müssen Themen benennen und Lösungen finden – nicht alles lässt sich mit gutem Willen auffangen.»

Chancengleichheit und Bildungszugang

Aline Trede, Nationalrätin und Kandidatin für den Regierungsrat, brachte die Perspektive der Grünen ein. Sie betonte die Bedeutung von Chancengleichheit: «Chancengleichheit bedeutet nicht, dass alle das Gleiche leisten, sondern dass alle stark sein können.» Sie sprach sich für kostenlose Sprachförderung aus und warnte vor einer Stigmatisierung geflüchteter Kinder: «Auch Kinder, die nicht bleiben können, haben ein Recht auf Bildung.»

Trede, selbst ETH-Absolventin und Mutter, betonte die Rolle der Eltern: «Alle Eltern sind Experten – sie wissen, wie Schule sein sollte.» Sie lobte die Flexibilität der Lehrpersonen und zeigte sich offen für neue Schulformen wie die Mosaikschule: «Selbstorganisiertes Lernen über mehrere Niveaus hinweg – ich bin ein grosser Fan.»

Digitalisierung: Chance oder Überforderung?

Stefan Zbinden, seit über 30 Jahren im Bildungssystem tätig, zeigte sich als überzeugter Befürworter des Schweizer Modells: «Unser System ist genial – wir müssen dafür sorgen, dass es genial bleibt.» Er betonte die Bedeutung der Weiterbildung und forderte mehr Ressourcen für die Digitalisierung: «Gebt den Praktikern Rahmenbedingungen, worin wir uns bewegen können.»

Zbinden sprach sich klar gegen ein generelles Handyverbot aus: «Wir müssen den Umgang mit digitalen Medien lehren, nicht verbieten.» Die WST habe bereits auf BYOD (Bring Your Own Device) umgestellt. «Es geht um Regeln und kritisches Denken – das müssen wir den Jungen mitgeben.»

Arn ergänzte: «Die Digitalisierung passiert nicht über Nacht. Wir brauchen Ressourcen und ein Change-Management in der Schule.» Bichsel warnte davor, digitale Kompetenzen zu priorisieren, ohne die Grundkompetenzen zu sichern: «Warum braucht ein Elektriker beispielsweise heute einen eigenen Stützkurs?»

Stimmen aus dem Publikum

Auch das Publikum brachte sich aktiv ein.

Christine Buchs aus Spiez stellte die Frage, wie sich die zunehmende Komplexität im Schulalltag auf die Lehrpersonen auswirke: «Wie können Lehrpersonen unter diesen Bedingungen überhaupt noch individuell fördern, wenn gleichzeitig Ressourcen fehlen und die Anforderungen steigen?»

Konrad E. Moser aus Steffisburg richtete den Blick auf die politische Verantwortung: «Wie stellt die Politik sicher, dass Bildungsinvestitionen tatsächlich Wirkung zeigen – und nicht nur Kosten verursachen?»

Arn antwortete: «Als Unternehmer sehe ich es als unsere gemeinsame Aufgabe – von Politik, Wirtschaft und Bildung – sicherzustellen, dass Investitionen in die Bildung nicht nur finanziell messbar sind, sondern auch in der Qualität der Kompetenzen, die junge Menschen mitbringen. Wenn grundlegende Fähigkeiten nicht zuverlässig vermittelt werden, müssen wir gemeinsam überlegen, wie wir die Wirksamkeit verbessern können.»

Persönliche Einblicke und Fazit

Zum Abschluss wurden die Podiumsteilnehmenden nach prägenden Schulerlebnissen gefragt. Stefan Zbinden erinnerte sich: «Ich war nicht immer ein idealer Schüler, einmal hätte ich eine 9,5 gebraucht, um genügend zu sein – das hat mir Einfühlungsvermögen gegeben.» Aline Trede sagte: «Ich war immer neugierig – heute bin ich privilegiert, ständig weiterlernen zu dürfen.» Und Alfons Bichsel fasste zusammen: «Unsere jungen Menschen haben alle Möglichkeiten – wir müssen ihnen das beste Fundament mitgeben.» Auch Daniel Arn brachte eine persönliche Perspektive ein: Seine Tochter wechselte nach der Steiner Schule ins klassische Modell zurück – weil ihr dies nach einigen Jahren besser entsprochen hat.

Die Diskussion zeigte: Bildung ist ein emotionales, politisches und gesellschaftliches Thema. Trotz unterschiedlicher Positionen war der Konsens spürbar: Die Zukunft des Bildungssystems liegt in der Balance zwischen Bewährtem und Innovation, zwischen Integration und Individualisierung – und in der Bereitschaft, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen.